Seit nun drei Monaten steht die Zeit in Nepal praktisch still. Unsere Arbeit aber nicht. Mehrmals wöchentlich stehe ich mit den Verantwortlichen unserer Schulen und Kinder in Kontakt und spreche ihnen Mut und Durchhaltewillen zu. Es war nicht einfach bei uns, es ist aber noch viel schwieriger in einem Land einen kompletten Lockdown durchzustehen, wenn vorher eigentlich von der Hand zum Mund gelebt wurde. Mittlerweile haben einige Organisationen (Nepalesische und Internationale) mit der Verteilung von Nahrungsmitteln und anderen dringend benötigten Sachen wie Medikamente, Masken und Desinfektionsmittel gestartet.
In den ersten sechs Wochen des Lockdowns war Nepal von einem Ausbruch der Pandemie verschont geblieben. Das Land war bereits seit Februar praktisch von der Aussenwelt abgeschottet, Flüge aus infizierten Gebieten waren nicht mehr zugelassen und Touristen mussten einen negativen Covid-19 Test vorweisen. Doch die riesigen Ströme der indischen Wanderarbeiter an den indisch-nepalesischen Grenzregionen liessen das Virus auch in Nepal ein. Vor allem in den südlichen Regionen wächst die Zahl der Erkrankten von Tag zu Tag.
Der Lockdown hat den Schulalltag durcheinandergeworfen. Staatliche Schulen und Universitäten funktionieren gar nicht, alles ist zu, doch wenigstens die Lehrer*innen, Dozent*innen erhalten als Staatsbeamte ihren Lohn gleichwohl. Die privaten Schulen und die privaten höheren Lehranstalten, und da gibt es tausende davon, haben nach einer ersten totalen Schliessung mit online teaching gestartet. Doch nicht alle Schüler/Studenten und Familien sowie auch Lehrer*innen sind mit Internet und Computersystemen ausgerüstet. Da Ausgangssperre ist, kann man auch nicht zur Schule oder Universität fahren und dort die Aufgaben abholen odere bringen. Und das betrifft natürlich auch unsere Aasha Kinder an der Mount View School und Shova und Tej in Pokhara.
HOPE hat nun angeordnet, dass die Mütter/Eltern bei Bedarf einen Betrag von uns erhalten, um ein Datenpaket zu kaufen und somit per Internet die Hausaufgaben auf ihr Mobiltelefon abrufen können.
Einige unserer Aasha Kinder haben sich zur aktuellen Situation geäussert. Das möchte ich euch nicht vorenthalten
Prayusha hat das Glück, dass ihr Mami bei den Hausaufgaben helfen kann. Sie vermisst die Schule und die Tage zu Hause sind sehr langweilig. Jeden Tag repetiert sie ein wenig den Schulstoff und zeichnet sehr viel.
Prayushas Mami ist als Hausangestellte in einem Privathaushalt angestellt. Jetzt kann sie wegen der Ausgangssperre nicht mehr arbeiten und hat demzufolge auch kein Einkommen mehr.
Jyoti wohnt mit ihrer Mutter zusammen in einem kleinen Zimmer, das sowohl als Schlafzimmer als auch Küche dient. Damit das Mädchen gutes Licht hat, macht sie ihre Hausaufgaben draussen auf der Strasse. Sie vermisst vor allem ihre Freundinnen und vertreibt sich die Zeit manchmal mit Repetieren der Schulfächer. Auch ihr Mami hat als Tagelöhnerin kein Einkommen mehr.
Aarathi und Aryan sind Geschwister. Da die Schulen bereits zwei Wochen vor dem generellen Lockdown geschlossen wurden, sind die beiden zu ihren mütterlichen Verwandten in den Osten Nepals gefahren. Ihre Mutter ist beim Erdbeben im 2015 ums Leben gekommen und der Vater hat bald danach wieder geheiratet. Seit die neue Mutter selber ein Baby hat, vernachlässigt sie Aarathi und Aryan, weshalb sie immer gerne zu den Verwandten mütterlicherseits gehen. Aarathi schreibt, dass sie ihrer Grossmutter in der Küche hilft und mit ihrem Bruder zusammen lokale Spiele spielt. Auch hatte sie Gelegenheit die Feldarbeit zu erlernen. Da die Internetverbindung sehr schlecht ist und sie ihre Schulbücher nicht dabei haben, können sie keine Aufgaben machen. Sobald der Lockdown beendet ist, werden sie wieder nach Hause zu Vater und Stiefmutter gehen und die Lerntätigkeit wieder aufnehmen.
Muna schreibt, dass es ihr sehr langweilig ist. Wegen der Ausgangssperre ist sie die meiste Zeit zu Hause. Sie hilft ihrer Mutter bei der Hausarbeit. Wenn sie mal nach draussen geht, muss sie eine Maske tragen. Sie hört die Nachrichten und weiss, dass es wegen Covid-19 viele Tote weltweit gegeben hat. Sie hat Angst sich anzustecken, deswegen bleibt sie lieber zu Hause. Sie liest Bücher und repetiert den Schulstoff.
Auch Babitra, Sachin und Manish haben mir Nachrichten geschickt, dass sie den Schulstoff repetieren und wegen der schlechten Internetverbindungen und schlechten Mobiltelefonen ihrer Mütter kein online teaching machen können. Da die Mütter Analphabeten sind, können sie ihren Kindern auch nicht helfen.
Aus Pokhara hat mich die Nachricht erreicht, dass es Shova und Tej gut geht, aber leider ist auch ihre Schule seit Ende Februar geschlossen und es werden auch keine online Schulstunden angeboten. Sie helfen ihren Eltern bei der Feldarbeit. Da sie jedoch nicht auf den Markt fahren können, um Gemüse zu verkaufen oder um Samen und Dünger zu kaufen, haben ihre Eltern kein Einkommen mehr und die Zukunft ist ungewiss. Shova’s 10. Klasse Abschlussexamen wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Jeden Tag repetieren sie den Schulstoff, um gestärkt wieder zurück in die Klasse zu kommen. Sie sind sehr dankbar für die Unterstützung und freuen sich darauf, bald wieder in die Schule zu dürfen um ihre Ausbildung weiterzuführen. Auch dieser Familie haben wir einen kleinen Zustupf zukommen lassen, um die momentane prekäre Lage zu mildern.
Unsere Berufsschule ist geschlossen. Die Wärterfamilie wohnt auf dem Gelände und kümmert sich um den Garten. Die angestellte Bauersfamilie versorgt unsere Büffel und arbeitet auf dem Feld der Landwirtschaftsschule.
Wie weiter?
Wir hoffen sehr, dass es auch in Nepal bald zu einem Ende des Lockdowns kommt. Die wirtschaftlichen und schulischen Defizite sind dort viel gravierender als bei uns. Der Staat hat keine Gelder um der Wirtschaft zu helfen. Viele Menschen sehen keinen Ausweg aus diesem schwarzen Tunnel. Fünf Jahre nach dem verheerenden Erdbeben steht das Land wieder vor dem Ruin. Viele Hotels, die in den letzten Jahren gebaut wurden um den Touristen ein besseres Niveau bieten zu können sind auf unbestimmte Zeit geschlossen. Hotelangestellte, Restaurantangestellte, Trekking Agenturen, Sherpas und all die Leute, die für die wunderschönen Trekkings ihre Arbeit so toll verrichteten sind arbeitslos und stehen verzweifelt an der Grenze der Armut. In den Dörfern können sich die Menschen noch mit Selbstangebautem versorgen aber in den Städten fehlt ihnen das. Und wenn kein Einkommen mehr kommt, kann auch nichts gekauft werden.
Die privaten Schulen stehen vor einem neuen Problem. Die Eltern weigern sich das Schulgeld zu zahlen. Sei es, weil nun das Einkommen fehlt oder weil die Schüler nicht in die Schule können. Ohne Schulgeld wird es aber auch immer schwieriger die Lehrerlöhne zu zahlen. Die Lehrer*innen der nepalesischen Privatschulen leisten mit dem nicht ganz einfachen online teaching Grossartiges und sollten dafür entlohnt werden. An der Mount View Schule verzichten viele Lehrer*innen freiwillig auf ihren Lohn, um der Schule finanziell zu helfen. Auch unsere Lehrmeister sind arbeitslos und wir wünschen uns, dass es auch für sie mit dem Unterricht bald wieder losgehen kann.
HOPE-Hoffnung für Kinder in Nepal lässt die herzlichen Menschen in Nepal nicht im Stich. Das können wir aber nur mit eurer Hilfe tun. Gemeinsam schaffen wir es, unseren Aasha Kindern und ihren Familien bei Bedarf beizustehen. Wir werden auch unseren Lehrmeistern eine kleine Unterstützung bieten falls der Zeitpunkt der Öffnung der Schule noch Monate dauern sollte. Auch werde ich, sobald es möglich wird, nach Nepal reisen und nebst der finanziellen auch moralische Unterstützung geben.
Wir danken allen für die finanzielle Unterstützung auch in dieser schwierigen Zeit.